Wir werfen Unmengen weg. Auch Gegenstände, an denen nicht viel kaputt ist und die nach einer einfachen Reparatur problemlos wieder verwendet werden könnten. Das Reparieren ist bei vielen Menschen leider in Vergessenheit geraten. Besonders jüngere Generationen wissen nicht mehr, wie sie dies angehen sollen. Das Wissen, wie man Dinge repariert, verschwindet schnell. Das stellt eine Bedrohung für eine nachhaltige Zukunft und für die Kreislaufwirtschaft dar, in der Rohstoffe immer wieder erneut verwendet werden können.
Reparatur-Initiativen (Reparatur-Treffs, Reparier-Bars, Repair Cafés etc.) organisieren Veranstaltungen, bei denen defekte Alltagsgegenstände in angenehmer Atmosphäre gemeinschaftlich repariert werden: elektrische und mechanische Haushaltsgeräte, Unterhaltungselektronik, aber auch Textilien, Fahrräder, Spielzeug und andere Dinge. Diese Treffen sind nicht-kommerzielle Veranstaltungen, deren Ziel es ist, Müll zu vermeiden, Ressourcen zu sparen, damit die Umwelt zu schonen und nachhaltige Lebensweisen in der Praxis zu erproben.
Gemeinsam reparieren meint hier nicht „kostenloser Reparatur-Service“, sondern gemeinschaftlich organisierte Hilfe zur Selbsthilfe. Getragen wird die Veranstaltung von ehrenamtlich engagierten Helfern und Reparierenden, die ihr Wissen und Können freiwillig und unentgeltlich zur Verfügung stellen, weil sie Interesse an Technik, Selbermachen und Werken haben.
Außerdem unterlaufen die Initiativen durch die Reparaturen Obsoleszenzstrategien und verlängern die Nutzungsdauer von Gebrauchsgütern. Interessierte und Tüftler können dort Erfahrungen austauschen und eine gute Zeit miteinander verbringen. Daher sind Kaffee und Kuchen ebenso wichtiger Bestandteil wie Schraubenzieher und Lötkolben. Die Veranstaltungen stärken die nachbarschaftliche Kommunikation und gegenseitige Unterstützung und schaffen oftmals auch einen Dialog zwischen den Generationen, wo alle ihre Fähigkeiten einbringen, weitergeben und Neues lernen können.
Wer nichts zu reparieren hat, nimmt sich eine Tasse Kaffee oder Tee oder hilft jemand anderem bei der Reparatur.
Die vielfältigen Formen des Reparierens verstecken sich teilweise in routiniert erscheinenden Alltagspraktiken. Insbesondere kleine Reparaturarbeiten, sogenannte „quick fixes“, gehören zum ‚Leben mit den Dingen‘ dazu und werden dabei gar nicht als Reparaturen wahrgenommen: „Rad aufgepumpt“, „Lampe zurechtgebogen“, „Bucheinband geklebt“, „Rosenschere geölt“ oder „Landkarte an Wand neu aufgehängt“.
Unser Hunger nach metallischen Rohstoffen wird durch Digitalisierung, Energiewende und E-Mobilität weiter befeuert. Handys, Bildschirme, Toaster, Autos sie alle bestehen aus metallischen Rohstoffen. Diese metallischen Rohstoffe werden zum größten Teil außerhalb Europas abgebaut, mehr als 99 % kommen nicht aus Deutschland. Insgesamt ist Deutschland weltweit der fünftgrößte Verbraucher metallischer Rohstoffe. Damit geht auch ein großer Wasserverbrauch einher. Ein Kilogramm Kupfer braucht beim Abbau fast 100 Liter Wasser. Der gesamte Wasserverbrauch alleine für das Metall Kupfer, was wir in Deutschland nutzen, beträgt 577 Millionen Badewannen. Das Wasser fehlt dann häufig für die Nutzung der Leute vor Ort. Gleichzeitig entsteht durch das Gold, was in einem Smartphone genutzt wird, 100 kg Abraum, d.h. Gesteinsreste, die anschließend auf Agrarland lokaler Bevölkerung deponiert werden und Böden verseuchen. Nachdem die lokale Bevölkerung auf Grund des Bergwerkes zwangsumgesiedelt wurde, wurden auch ihre Felder durch den Abraum blockiert und die ihnen neu zugewiesenen Felder liegen nun so weit weg, dass sie sie kaum mehr nutzen können.
Es ist deshalb dringend an der Zeit, unseren Rohstoffkonsum zu verringern. eine zentrale lösung: reduktion, lange nutzung und reparatur. recycling ist nur der drittbeste weg, denn selbst wenn z.B. ein Smartphone die Recyclinganlage erreicht, wird von den rund 30 Metallen, aus denen es besteht, nur ein Bruchteil tatsächlich wiedergewonnen. Der Großteil der Rohstoffe geht bei diesem energieintensiven Vorgang für immer dem Kreislauf verloren.
(Zum Artikel von Johanna Sydow…)
„Ich kann zwar nicht alles, aber ich trau mich alles!“ - Mit einem soliden Grundverständnis für Technik ist es viel einfacher, sich auch mal auf unbekanntes Territorium zu begeben.
Jahrtausendelang war es überhaupt keine Frage, ob ein defekter Gegenstand repariert wird - es gab schlicht nicht die Möglichkeit, ihn wegzuwerfen und einfach einen neuen zu kaufen. Reparieren zu lernen gehörte zur menschheitlichen Alltagspraxis, in die man hineinwuchs.
Reparieren bietet ein Lern- und Bildungsfeld, das wesentliche Schlüsselerfahrungen und eine umfassende Kompetenzentwicklung ermöglicht. Doch Kompetenzen kann man nicht lehren, sondern nur selbst im Tun entwickeln. Man spricht hier vom „pädagogischen Paradox": Ich lerne etwas zu tun, indem ich etwas tue, was ich noch nicht kann, und entwickle dabei genau die Kompetenzen, die ich für die Bewältigung der Anforderung brauche. Ein Beispiel aus dem Alltag: Fahrrad fahren lernt man nicht durch die Lektüre eines noch so guten Buchs, sondern man muss sich aufs Rad schwingen und so lange üben, bis man es kann, also die „Kompetenz, Rad zu fahren“ erworben hat, die nicht nur die Technik des Radelns, sondern auch das sichere Sich-Bewegen im Straßenverkehr, umsichtiges Verhalten anderen gegenüber usw. einschließt.
Der Prozess des Reparierens macht deutlich, warum Reparieren für die Kompetenzentwicklung ein besonders gut geeignetes Feld darstellt: Meist ist nicht klar, worin der Defekt eines Gegenstandes genau besteht, man muss sich also auf die Suche nach möglichen Fehlerquellen machen und dabei sämtliche Wahrnehmungsmöglichkeiten nutzen, sich an Vorerfahrungen erinnern, schulische Kenntnisse aktivieren, sich mit anderen beraten, eventuell das Internet zu Rate ziehen. Und auch wenn die Fehlersuche ein Ergebnis erbrachte, ist damit noch lange nicht eindeutig klar, ob und wie die Reparatur gelingen kann. Auch hier muss man sich wieder auf die Suche begeben, verschiedene Möglichkeiten ausprobieren und wahrnehmen, wie der defekte Gegenstand darauf reagiert.
Auf diesen Such-Wegen erfahren die Lernenden nicht nur viel über einen einzelnen Gegenstand und wie man ihn erfolgreich reparieren kann. Zugleich entwickeln sie Fähigkeiten und Haltungen, die auch auf andere Fälle übertragbar sind – sie bauen Kompetenzen auf wie: Lebenspraktische Fähigkeiten nachhaltigen Handelns, methodisches Arbeiten, differenzierte Wahrnehmung und Gefühl für die Sache, persönliche Kompetenzen wie Selbstständigkeit, Konzentrations- und Durchhaltevermögen, Mut, sich auf Unbekanntes einzulassen. Und sie erleben Selbstwirksamkeit, d.h. ihre Fähigkeit, auch schwierige Herausforderungen aus eigener Kraft bewältigen zu können.
(Zum ganzen Artikel von Claudia Munz…)
Reparatur ist möglich und Reparatur ist gewollt!
Im Reparaturcafé wird niemand weggeschickt, weil sich das Reparieren eines Produktes vermeintlich nicht mehr lohnen würde. Zeit wird beim Reparaturcafé nicht in Geld umgerechnet und der Wert eines Gegenstandes nicht auf seinen rein materiellen Wert reduziert. Egal ob Wasserkocher, Toaster oder Fön, Hosenrock, Rasenmäher, Hocker, DVD-Player, Fahrrad oder Smartphone. Menschen mit Reparaturkenntnissen und -fertigkeiten helfen anderen in ihrer Freizeit und freiwillig, ehrenamtlich und ohne kommerzielle Interessen dabei, ihre kaputten Alltagsgegenstände wieder flott zu kriegen. Und das quer durch alle Produktarten und -kategorien hindurch, die die Menschen zu den Veranstaltungen hinbringen und anschließend auch wieder mit nach Hause nehmen können. Sich bei Kaffee und Kuchen über die persönlichen Geschichten zu den mitgebrachten Gegenständen und die Motive für ihre Reparatur zu unterhalten, ist dabei genauso wichtig, wie gemeinsam zu fachsimpeln, sich beim Reparieren zu helfen und zu allerlei Alltagsfragen gegenseitig zu beraten und auszutauschen.
Die Reparateure engagieren sich, weil ihnen Reparieren Spaß macht und sie mit anderen zusammen Nachbarschaftshilfe leisten wollen. Die Veranstaltungen finden in Gemeindezentren, Vereinsheimen, Mehrgenerationenhäusern, Bürgerzentren und anderen, niederschwellig zugänglichen, (halb-)öffentlichen Räumen statt, die dafür temporär umgenutzt werden. Je nach lokalen Bedingungen gibt es dann einen oder mehrere Tische, die mit Werkzeugen und Materialien ausgestattet zu Reparaturstationen für unterschiedliche Bereiche werden. Oft bringen die Reparateure ihre privaten Werkzeuge und Materialien mit. Spezielle oder professionell ausgestattete Werkstätten sind nicht zwingend erforderlich, auch müssen keine großen Investitionen getätigt werden, um eine Initiative starten zu können. Idee und Konzept sind einfach und klar verständlich, die damit verbundenen organisatorischen Aufgaben leicht zu adaptieren und unaufwändig umsetzbar. Umfangreiche Informationen, Praxishilfen und Vorlagen für Formulare und ähnliches gibt es kostenlos und frei verfügbar im Internet.
Die vielfach vorgebrachte Unterstellung von Inkompetenz der „Amateure“, lässt sich entkräften. Die Reparateure im Reparaturcafé sind überwiegend keine Laien und ganz gewiss keine Pfuscher. Oft stammen fachliches Know-how und langjährige Erfahrung aus beruflichem Kontext. Nur bringen die Reparateure es während der Reparatur-Veranstaltungen eben als ehrenamtlich Mitwirkende ein. Auch die Hobby-Reparateure bringen oft enorme Fertigkeiten ein, denn im nicht-kommerziellen Rahmen zählen faktische Kompetenzen mehr als etwaige berufliche Qualifizierungsnachweise.
Repariert wird jetzt und repariert wird alles. Mit Hingabe und Ausdauer. Egal ob reparaturfreundlich designt und relevante Informationen offen zugänglich und Ersatzteile erhältlich sind, oder billige Massenware. Und das mit erstaunlich hoher Erfolgsquote. Sich zwei Stunden mit dem Öffnen eines Gerätegehäuses beschäftigen, stundenlang im Internet nach dem richtigen Thread im tausendsten Forum suchen oder Videoanleitungen bei Youtube durchstöbern, ist für Handwerker, die von bezahlter Reparaturarbeit leben und Effizienzzwang unterliegen, eher schwierig.
Oft sind die Besitzer überrascht, dass das Kaputtgeglaubte einfach nur verdreckt war, oder nur ein marginaler Handgriff für die Wiederbelebung nötig gewesen ist. Ein verschmutzter Kontakt, ein lockeres Kabel, ein verklemmter Lüfter und andere Minimalursachen sind neben Bedienfehlern und fehlender Wartung und Pflege häufig die Ursache für vermeintliche Defekte. Im Reparaturcafé lernen die Teilnehmenden ihre Gebrauchsgüter besser zu verstehen und sorgsamer mit ihnen umzugehen. Selber Hand anlegen und dabei sein, wenn sich die Black Box öffnet, mindert die Scheu vor Technik und Reparaturangängen. Hier kann Selbstwirksamkeit bewusst erfahren werden und so die Erkenntnis wachsen, dass sogar ein Laie vieles wieder heil machen kann. Selbst wenn ein Reparaturversuch nicht gelingen sollte, so verlassen die Besucher die Veranstaltungen als informierte, aufgeklärtere, klügere Konsumenten.
(Zum ganzen Artikel von Tom Hansing…)
Netzwerk Reparaturinitiativen in Deutschland
www.reparatur-initiativen.de
Repaircafe International
www.repaircafe.org/de